Hoffnung

Hoffnung

Samstag, 2. Januar 2016

Schuhe: Dr. Martens (Chelsea Boots)

Hose: Topshop Moto Joni Jeans

Mantel, Schal: Second Hand  

Sie lief. Durch ihr Viertel, vorbei an Häusern und Straßen. Über erdigen Boden durch den Wald, im Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Sie lief gern. Manchmal machte sie einen Umweg, wollte noch das letzte Lied aus ihren weißen Kopfhöhrern zu Ende genießen, oder hatte gerade einen genialen Gedanken gehabt, welcher noch einmal gründlich durchdacht werden musste. Sie lief immer mit Musik auf den Ohren. Dann konnte sie abschalten. Den Gedanken freien Lauf lassen, oder einfach nur der schönen Stimme lauschen. Ihre Beine kannten den Weg und trugen sie sicher ans Ziel. 

Auch heute lief sie. Es war ein kalter Herbsttag, genauso wie sie ihn mochte. Der eisige Wind machte ihr nichts aus, denn ihr war immer warm. Nur die glatte Straße mochte sie nicht, denn dann müsste sie auf den Weg achten. Aber heute hatte es noch nicht geeist und so übergab sie ihren Beinen die Kontrolle. Sie trugen sie sicher über die Straßen, vorbei an beschäftigten Menschen und eilig vorbeilaufenden Hundebesitzern mit Leine in der Hand. Supermärkte, Bäckereien und verschiedene andere Geschäfte zogen an ihr vorüber, doch all das bekam sie nicht mit. Sie still der Musik und dachte nach. 

Heute war kein schöner Tag gewesen und sie brauchte eine Auszeit. Sie dachte an vergangenes und Geschehnisse der letzten Tage und machte sich einen Kopf über ihre Zukunft. Das war immer so. Sie bekam ihren Kopf auf den ersten Metern nie leer, bis sie nach einiger Zeit den Ballast in einem kleinen Kämmerchen ruhen ließ und weiterreiste. Sie reiste in Ihre ganz persönliche Traumwelt, wo die Menschen noch nett und fürsorglich waren, und jeder ein guter Freund. Eine Welt ohne Hass und Krieg, ohne Neid, Geiz und Eifersucht. 

Auch heute versteckte sie den Ballast an Problemen tief in der hintersten Ecke und machte sich auf die Reise. Sie fand sich auf einer großen Bühne wieder, entdeckte hübsch gekleidete Menschen im Publikum und hinter sich eine Band. 5 Jungs standen da mit Schlagzeug, Gitarren und Bass ausgestattet und warteten auf Ihr Zeichen. Einer grinste sie glücklich an. 

Also nahm sie am Klavier Platz und fing langsam an zu singen. Ihre Stimme füllte den ganzen Saal und die erste Reihe des Publikums hatte schon nach dem ersten Ton Gänsehaut am ganzen Körper. Nach 3 Minuten und 47 Sekunden verfiel es in tosenden Applaus. Sie stand auf und nahm die Jungen bei der Hand. Glücklich verbeugten sie sich und gingen von der Bühne. Feierten hinter den Kulissen weiter, denn sie waren ein Team und hatten es gemeinsam geschafft. 

Nach einer halben Stunde jedoch, musste sie sich verabschieden. Sie machte das Kämmerchen mit dem Ballast noch nicht auf, aber reiste zurück. Ihre Beine hatten sie vor einen Second Hand Laden getragen, ihr persönlicher Zufluchtsort. Vorsichtig öffnete sie die Tür und ging hinein. Die Verkäuferin grüßte sie freundlich, die beiden kannten sich schon eine Weile. Nach einem kurzem Plausch verschwand sie zwischen den Kleiderstangen, die Hände versunken zwischen weichen Stoffen.

Nicht immer kam sie her um einzukaufen, manchmal genoss sie auch einfach nur die Gerüche und die Atmosphäre. Heute aber blieb ihre Hand auf einem grauen, kuscheligen Stück Stoff hängen und zog einen Mantel von dem Kleiderbügel. Er war wie ihre Stimmung und das Wetter. Grau und trüb, ohne einen Funken Hoffnung, groß genug um sich einen Tag lang darin zu verstecken ohne entdeckt zu werden. Sie wusste, dass ihr Schrank voller Mäntel und Jacken hing, aber manchmal darf man nicht vernünftig sein. Nach einer kurzen Weile des Zögerns war sie sich sicher, dass sie diesen Mantel brauchte. 

Die Verkäuferin an der Kasse und ein älterer Herr, welcher hinter ihr in der Schlange standen bestätigten sie und so stand sie 5 Minuten später mit einer Tüte vor dem Laden und machte sich in ihrer Traumwelt wieder auf den Weg nach Hause. Dort angekommen öffnete sie das Kämmerchen in der hintersten Ecke wieder und befreite den Ballast. Sie war zurück in einer Welt aus Angst und Schmerz. 

Jetzt aber hatte sie einen Weggefährten, der ihr Hoffnung gab.